Das Höhenverfahren mit der Sonne als zu messendem Gestirn

Wenn die Sonne nicht genau nördlich oder südlich des Beobachters steht, kann die einfache planare Geometrie zur Auswertung der Messung nicht mehr herangezogen werden. Es müssen vielmehr die Regeln der sphärischen Trigonometrie genutzt werden. Aber jetzt bitte keine Panik - die komplette Rechnerei haben andere schon für Sie erledigt und dafür die Tafeln "HO 249" entwickelt. Diese "Anderen" saßen während des 2. Weltkrieges im amerikanischen Verteidigungsministerium und dachten darüber nach, wie den Navigatoren der Bomber die langwierige und fehlerträchtige Rechnerei zur Standortbestimmung erleichtert werden kann. Das aus diesen Überlegungen entstandene Tafelwerk wurde rasch zur Standardmethode der Auswertung astronomischer Messungen . Es liegt auch dem im Folgenden beschriebenen Lösungsweg zu Grunde.

Übrigens, die HO249 -Tafeln können von der WEB-Seite der amerikanischen National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) kostenfrei heruntergeladen werden:

Wie Sie später sehen werden, benötigen Sie auch noch Angaben zum Stand der Sonne, die z.B. dem nautischen Jahrbuch entnommen werden können. Für den Sie interessierenden Zeitraum können Sie sich die Tagesseiten des nautischen Jahrbuches samt der ebenfalls benötigten Schalttafeln auf der Seite www.kowoma.de ausdrucken. Diese Seite beschäftigt sich zwar vorzugsweise mit dem GPS-System, enthält aber auch viel Wissenswertes zum Thema Astronavigation.

 

zunächst aber in paar grundsätzliche Überlegungen :

Messen wir den Winkel zwischen Fußpunkt und Spitze eines Leuchtturms, so wird der gemessene Winkel umso größer, je mehr wir uns dem Leuchtturm nähern :


Alle Orte, von welchen aus der gleiche Winkel gemessen wird, befinden sich auf einem Kreis, dessen Mittelpunkt der Leuchtturm ist. Kennt man die Höhe des Leuchtturmes ( z.B. aus dem Leuchtfeuerverzeichnis ) kann man den Abstand zum Leuchtturm wie folgt berechnen:

Abstand in Seemeilen = (13 x Feuerhöhe in Meter) / (7 x gemessener Winkel in Winkelminuten )

Das Höhenverfahren zur Auswertung astronomischer Beobachtungen funktioniert nach dem gleichen Schema. Es gibt allerdings ein paar Probleme bei der Übertragung dieses einfachen Prinzips aus der terrestrischen in die astronomische Navigation:

1.) Unsere Leuchttürme (die Gestirne) sind praktisch unendlich hoch.

Das ist eigentlich kein Problem, im Gegenteil, die unendliche Höhe bewirkt, daß die Strahlen der Gestirne absolut parallel einfallen, die Richtung zum Gestirn ist also von jedem Punkt der Erde aus gleich.

2.)Der Fußpunkt unserer "astronomischen Leuchttürme" ist soweit entfernt, daß die oben gezeigte einfache Formel zu falschen Ergebnissen führt.

Die Auswertung der Messung erfolgt deshalb mit Hilfe der sphärischen Trigonometrie. Die früher erforderlichen aufwändigen und fehleranfälligen Berechnungen sind mit Hilfe der H=249-Tafeln aber kein Problem mehr.

3.) Die Gestirne umrunden die Erde ( hier betrachten wir die Erde als Mittelpunkt ) in 24 Stunden einmal; am Äquator entspricht dies einer Geschwindigkeit von 1667 km / Stunde oder 900 Knoten (Seemeilen / Stunde).

Mit Hilfe des Chronometers und dem nautischen Jahrbuch wird auch dieses Problem gelöst. Bei der Messung wird - sekundengenau - die Zeit festgehalten und für diesen Zeitpunkt der momentane Standpunkt unseres "Leuchtturmes" ermittelt.
Diesen Standort werden wir im weiteren Verlauf "Bildpunkt" nennen. Er bezeichnet den Ort auf der Erdoberfläche, über dem das zu messende Gestirn zum Messzeitpunkt genau senkrecht steht.

4.) Hat man den Abstand vom Bildpunkt des Gestirns bestimmt, wird man aber keine so weiträumige Seekarte haben, um im Bildpunkt des Gestirns den Zirkel einstecken zu können und den Abstandskreis um den Bildpunkt zu ziehen. Immerhin kann die Sonne z.B. irgendwo über der Karibik stehen, wenn wir sie von europäischen Gewässern aus messen.

Da hilft ein Trick: Man berechnet den Höhenwinkel der Sonne für den so genannten Rechenort. Dieser liegt in der Nähe des gegissten Schiffsortes. Diese berechnete Höhe vergleicht man mit der mit dem Sextanten gemessenen (und berichtigten) Höhe des Gestirns. Ist die gemessene Höhe größer als die berechnete, so ist man um so viele Seemeilen dichter am Bildpunkt wie die Differenz der beiden Winkel in Minuten ausmacht. Ist der gemessene Winkel kleiner als der berechnete, ist man entsprechend weiter vom Bildpunkt des Gestirns weg. In der Seekarte wird, ausgehend vom Rechenort der Azimutstrahl ( die ebenfalls errechnete "Richtung" zum Bildpunkt ) eingezeichnet. Auf diesem Azimutstrahl wird die Minutendifferenz abgetragen und in dem so erhalten Punkt eine Senkrechte eingezeichnet. Diese Senkrechte ist die gesuchte Standlinie. Da der Radius des Kreises um den Bildpunkt sehr groß ist, ist es ausreichend genau, wenn man den kurzen Abschnitt dieses Kreises, der für uns von Interesse ist, als Gerade darstellt.

An Hand eines Beispiels soll der Ablauf einer Standlinienberechnung und die Auswertung der Berechnung in der Seekarte gezeigt werden.